Als im vergangenen Dezember die Baureihe 201 von Mercedes höchst offiziell den Oldtimer-Status verliehen bekam, da war es schon schwer zu glauben, aber die mittlerweile 30 Jahre sind nicht mehr von der Hand zu weisen! Vereinzelt gibt es hier und dort schon einen solchen 190er mit H-Kennzeichen, doch darum geht es hier und heute überhaupt nicht.
Vielmehr steht Nardò im Mittelpunkt – jenes 12,6 Kilometer lange Hochgeschwindigkeitsoval im Herzen Italiens – dort war heute auf den Tag genau vor 30 Jahren der Zieleinlauf eines der bemerkenswertesten Mercedes der Neuzeit.
190E 2.3-16
Auch gerne als >Sport-Mercedes< in der Fachpresse tituliert und später einfach >Sechzehnventiler< genannt. Seinerzeit fast schon ein Sakrileg, genau wie die gesamte Baureihe des „Baby-Benz“!
Doch gegen alle Widerstände (auch im Konzern) wurde das Projekt eines modernen, kleinen Hochleistungswagen auf die Beine gestellt, der damals keine wirkliche Konkurrenz zu fürchten hatte – so jedenfalls die ersten Jahre.
Die Fachpresse munkelte Anfang des Jahres 1983 noch, das es wohl nie einen Mercedes mit der kryptischen Bezeichnung 2.3-16 auf dem Heckdeckel geben würde. Wir wissen das es doch so gekommen ist und Fans ereilt ein Lächeln auf ihren Lippen nachdem sie diesen Code vorgetragen haben.
Zur Präsentation hat man damals gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen und die unumgängliche Versuchserprobungen mit einer prestigeträchtigen Weltrekordjagd verbunden. So wurde einerseits das neue Konzept unter schwersten Bedingungen auf Belastbarkeit hin geprüft und andererseits auch die Robustheit und Zuverlässigkeit unterstrichen – da mutet es fast schon als Nebensache an, dass man u.a. drei Geschwindigkeitsweltrekorde über 25.000 Kilometer, 25.000 Meilen und 50.000 Kilometer eingefahren hat. Die Durchschnittsgeschwindigkeit lag hierbei bei über 247 Kilometer pro Stunde. Wohlgemerkt, das tagsüber im August in Nardò weit mehr als 40°C Außentemperatur herrschen und die Sonne den Asphalt deutlich spürbar aufheizt – zusätzliche Belastungen für Mensch und Maschine.
WELTREKORD über 50.000 Km
Auch heute noch bestehen diese Rekorde, niemand hat sie seitdem gebrochen – sei es weil es in der heutigen Zeit verpönt ist solche Jagden abzuhalten, oder weil es technisch einfach nicht möglich ist. Dies alles unterstreicht jedenfalls noch einmal die Genialität des Sechszehnventilers!
Die Fahrzeuge waren zwar als Erprobungsfahrzeuge deklariert worden, entsprachen aber im Großen und Ganzen der später frei erhältlichen Serienfahrzeugen. Folgende Abweichungen wurden für die Geschwindigkeitsrekordfahrten realisiert:
- Hinterachsübersetzung i=2,65 statt i=3,07 (Serie)
- kein Rückwärtsgang
- Niveauregulierung rundum (tiefer gelegtes Fahrzeugniveau)
- kein Mittelschalldämpfer
- Spezial-Rennreifen von Pirelli (Semi-Slicks)
- anderer Bugspoiler
- kein E-Lüfter für den Motor verbaut
- Scheinwerferschutzblenden (tagsüber) und Insektenschutzgitter für den Kühlergrill
- keine Servolenkung
- Höchstgeschwindigkeit: 261 Km/h
- Tankinhalt: 160 Liter
Als Fahrer dienten neben Erich Waxenberger bei diesen Fahrten Mitarbeiter der Versuchsabteilung der Daimler-Benz AG. Dank der seit 1976 in schöner Regelmässigkeit in Nardò mit den C111 III-V durchgeführten Versuchsfahrten, war man fast schon ein wenig routiniert.
Unten links im Bild: Motoren-Papst Dr. Obländer (Rücken), Entwicklungsleiter Dr. Hörnig (mitte), Entwicklungsvorstand Prof. Breitschwerdt (rechts). Bild rechts: Dr. Hörnig und im Renntrim Erich Waxenberger.
Zwischen dem 13. – 21.08.1983 wurden in genau 201 Stunden, 39 Minuten und 43 Sekunden folgende, sagenhafte drei Weltrekorde und neun Internationale Klassenrekorde aufgestellt:
25.000 Kilometer – 247,094 Km/h
25.000 Meilen – 247,749 Km/h
50.000 Kilometer – 247,939 Km/h
1.000 Kilometer – 247,094 Km/h
1.000 Meilen – 246,916 Km/h
5.000 Kilometer – 246,914 Km/h
5.000 Meilen – 246,729 Km/h
10.000 Kilometer – 246,829 Km/h
10.000 Meilen – 246, 839 Km/h
6 Stunden – 246,798 Km/h
12 Stunden – 246,628 Km/h
24 Stunden 246,713 Km/h
Das Kraftpaket ist ein 2,3 Liter Vierzylindermotor auf Basis der damals neu eingeführten Motorenfamilie M102, dem ein Vierventil-Leichtmetallzylinderkopf des Motoren-Spezialisten Cosworth verpasst wurde, garniert mit Leckereien wie Fächerkrümmer und direkter Luftansaugung. Lediglich 167 Kilogramm wiegt das 185 PS (132 KW) starke Aggregat.
Der Kraftstoffkonsum hielt sich über die Distanz mehr als im Rahmen und betrug lediglich ein wenig mehr als 22 Liter auf 100 Kilometer. Wohlgemerkt bei gut dauerhaft anliegenden 5.000 U/min und hoher Lufttemperatur.
Ein weiterer – nicht ganz uninteressanter – Punkt ist, dass man vollsynthetisches Motoröl der Marke Shell TMO verwendet hat (dieses Öl war seinerzeit auch schon das Erstbefüllungsöl der 911er Modelle von Porsche). Dies nur als kleine Unterstreichung, das diese Motoren bereits auf die Verwendung von vollsynthetischem Motoröl ausgelegt waren bzw. wurden.
Die Aerodynamik-Bauteile der Karosserie verbesserten nicht nur das Styling und die Erscheinung des Wagens (das Daimler-Benz Marketing sprach seinerzeit sogar von erhöhter „Eleganz durch unaufdringliche, attraktiv-dynamiksche Linienführung und die weitgehende Verwendung neuer Materialien anstelle von Chrom„!), sondern auch massiv den Luftwiderstand und die Fahreigenschaften bei hohen Geschwindigkeiten!
Vorderachsauftrieb um ca. 45% verbessert
Hinterachsauftrieb um ca. 40% verbessert
Cw-Wert ca. 3% verbessert
Cw-Wert von nur 0,32
Aber nun kommen wir endlich wieder zu dem eigentlichen Thema dieses Artikels, dem 30-jährigen Jubiläum der Rekordfahrt in Nardò mit dem Typ 190E 2.3-16.
Bilder von der Rennstrecke, sie sprechen für sich würde ich sagen:
Neben der von FIA-Kommissaren überwachten Weltrekordversuchen und der reinen Materialerprobung, standen auch verkehrspsychologische Untersuchungen bei diesem Langstreckentest im Mittelpunkt. So konnten zum ersten Mal Werte über die Fahrerbeanspruchung unter genau definierten Bedingungen und damit aussagekräftige Ergebnisse ermittelt werden – dies wurde durch die Forschungsgruppe Berlin durchgeführt, die zu dieser Zeit auch den Fahrsimulator erdacht hat.
Während der Weltrekordfahrten wurden die normalen Pflege- und Wartungsdienste laut Vorschrift natürlich eingehalten, incl. Ventilspieleinstellen! Wohlgemerkt innerhalb von ca. 5min wurde ein solcher kompletter Wartungsdienst von der Boxenmannschaft durchgeführt – sagenhaft, damals wie heute. (siehe hierzu auch das Video!)
Am Ende der großen Rekordfahrt konnte man überall nur strahlende Gesichter entdecken. Der neue Sechzehnventiler hat sich tapfer geschlagen und es kam zu keinem Ausfall und dies obwohl die Fahrzeuge – dem Reglement entsprechend – die gängigsten Verschleißteile incl. Motorkühler, Dämpferbein und Zündverteiler mit an Bord spazieren fuhren (nur dann dürfen diese im Falle eines Defekts ausgewechselt werden!).
Am Ende dieses Artikels haben wir für euch, aufgrund unserer guten Kontakte zu Mercedes-Benz Classic, noch ein richtiges Bonbon aus dem Archiv ausgraben können, den original Video-Mitschnitt der auf der IAA im September 1983 am Stand zur Weltpremiere des 190E 2.3-16 präsentiert wurde.
Alle drei Fahrzeuge (rot, grün, weiß – an den Farbpunkten und Scheinwerferblenden leicht zu identifizieren) sind heute noch im Besitz der Daimler AG. Ein Fahrzeug hängt im Mercedes Museum an der Wand der Silberpfeilrekordfahrzeuge, es lohnt sich also in der Nähe des Café Daimler einmal den Kopf zu heben…
Fotos: ©fuenfkommasechs.de & Daimler AG