„Machen Sie Fotos von den wichtigen Leuten, nicht mir“ — eine Begegnung mit Dieter Glemser

Am ersten Wochenende dieses Monats ging es im Konvoi nach Jüchen, etwa zehn Kilometer südwestlich von Neuss.

Daß die Classic Days auf Schloß Dyck etwas besonderes sein mußten, davon hatten wir gehört. Und wenn man nach der langen Anreise in der S-Klasse der Achtziger Jahre vom Parkplatz weg direkt umsteigen darf vom ehemals besten Auto der Welt in das aktuell beste Auto der Welt, um mit allen nur erdenklichen Annehmlichkeiten mitten ins Herzstück des weitläufigen Areals chauffiert zu werden, dann ahnt man, daß das Wochenende auch unangenehmer hätte beginnen können als hier im „deutschen Goodwood“.

Ohje, nun haben wir es doch getan und das böse G-Wort gebraucht. Für eine Gegendarstellung erteilen wir dem gefühlt britischsten aller deutschen 126er-Fahrer das Wort, unserem Freund Felix Kühn, der in seiner S-Klasse oder dem Strich-Achter auch stets einen Triumph Spitfire im Kofferraum mit sich führt: 

„Dyck is schön, weil man da Autos anschauen kann und die auch mal fahren. Goodwood ist schön, weil da Rennen gefahren werden und die Leute sich verkleiden. In Dyck bekommt man Sachen zu sehen, die es in Goodwood nicht gibt (man kommt zum Beispiel viel näher an die Autos ran) und umgekehrt. Mir dreht sich daher immer der Magen um, wenn ich vom deutschen Goodwood lesen muss.“

Nichts liegt uns ferner, und überhaupt möchten wir unser Augenmerk ohnehin auf etwas ganz anderes richten als auf all die selbstverständlich großartigen und zahlreichen Exponate und das -eben doch- sehr britisch-aristokratische Ambiente.

Die Stars im Mercedes-Benz Classic Paddock! Neben denen aus Stahl und Alu (SL der Baureihen 230, 107, 194 und dem SLR 196) konnte man auch die aus Fleisch und Blut namens Sir Stirling Moss, Hans Herrmann und Dieter Glemser dort antreffen. Über die beiden erstgenannten muß man wohl nicht viele erklärende Worte verlieren, aber bei Dieter Glemser lohnt sich eine nähere Betrachtung.

Star fotografiert Superstar: Glemser (rechts) wollte den Moment mit Stirling Moss an seinem W196 ebenso einfangen wie wir.

Der schnellste Rosenzüchter der Welt

Dieter Glemser, geboren am 28. Juni 1938 in Kirchheim/Teck, begann seine Karriere mit dem Start beim Schorndorfer Bergrennen 1960. Seinen Titel als „schnellsten Rosenzüchter“ hat sich der gelernte Gärtner hart erarbeitet. Sogar noch während seiner Rennkarriere arbeitete er noch weiter als Gärtner im elterlichen Betrieb, und errang als Rennfahrer zahlreiche Klassensiege bei verschiedenen Berg- und Rundstreckenrennen auf dem Nürburgring.

Den Einstieg bei Daimler-Benz feierte er 1963 mit dem Gesamtsieg bei der Polen-Rallye in einem Mercedes-Benz 220 SE und jeweils einem zweiten Platz bei der Deutschland-Rallye und dem Großen Straßenpreis von Argentinien. 1964 erzielte er in Argentinien erneut einen zweiten Platz bei diesem strapaziösen Straßenrennen über mehr als 4.500 Kilometer. (im Foto links)

Größte Erfolge mit Porsche und Ford

Nachdem Glemser von 1962 bis 1965 zur Werksmannschaft von Daimler-Benz gehörte, wechselte er 1966 und 1967 zur Porsche Rennsportabteilung und holte dort neben der Teamweltmeisterschaft (Targa Florio; Le Mans; Monza; Nürburgring; Sebring; Spa) auch einen Gesamtsieg beim 24-Stunden-Rennen am Nürburgring.

Daraufhin wechselte er zu Ford und sicherte sich zwischen 1969 und 1974 insgesamt vier Meistertitel: 1969 wurde er Deutscher Rundstreckenmeister, 1971 gewann er die Tourenwagen-Europameisterschaft und holte einen Sieg bei den 24 Stunden von Spa. Darauf im Jahr 1972 wurde er Vizeeuropameister. 1973 siegte er in der Deutschen Rennsportmeisterschaft und konnte seinen Meistertitel im Folgejahr 1974 verteidigen. Nach einem schweren Unfall infolge eines Reifenschadens beim Tourenwagenrennen von Macau im November 1974, bei dem sein Wagen in zwei Teile zerrissen wurde, beendete er seine aktive Motorsportlaufbahn.

In den zehn Folgejahren war er als freier Mitarbeiter bei Ford Köln Motorsport tätig. Darauf war er von 1985-1989 Projektleiter im Porsche 944 Turbo-Cup, bis er 1990 die Organisation als Abteilungsleiter des Mercedes Motorsportteams für 10 Jahre übernimmt.

Oben im Foto (Glemser ganz rechts) sieht man die Vorbereitungen der Daimler-Benz AG zum Start bei den großen Tourenwagenrennen (dem Anschein nach muß auch der Kühler noch geflickt werden). Es waren sehr viele Abstimmungen und Veränderungen notwendig. Am 25. Juli 1971 überquerte der feuerrote Viertürer beim 24 Stunden-Rennen von Spa-Francorchamps als Zweiter die Ziellinie. Der Triumph gleich beim allerersten Renneinsatz machte AMG über Nacht weltberühmt – sogar die „Tagesschau“ berichtete über den Überraschungserfolg. (Glemser wurde Erster auf Ford Capri RS)

Bezwinger der „Roten Sau“

Fälschlicherweise wird heute gerne angenommen, Glemser hätte den 300SEL 6.8 AMG pilotiert, doch am Steuer saß kein geringerer als Hans Heyer! Die Serienlimousine wurde von Erhard Melcher (das M aus AMG) soweit modifiziert, dass aus ursprünglich 250PS und 6330cm3 sagenhafte 428PS bei 6835cm3 wurden. Um den Wagen wirklich tauglich für Tourenwagenrennen zu machen, wurden Magnesiumfelgen der Dimensionen 10×15 vorne und 12×15 hinten vom Versuchswagen C111 verbaut. Das Gewicht konnte u.a. durch den Einsatz von Aluminiumtüren von 1.830KG auf 1.635KG gesenkt werden. Größer dimensionierte Querlenker an der Vorderachse, eine robustere Hinterachse mit verstärktem Differenzial und kleinere, härtere Luftfederbälge machten die Limousine endgültig fit.


Die „rote Sau“ im Bewegtbild mit Sound

Eine Reglementänderung der Fédération Internationale de l’Automobile (FIA) bremste den Boliden nach 1972 aus, denn im Tourenwagen-Europapokal waren künftig nur noch Wagen bis fünf Liter Hubraum startberechtigt.

Heute ist der 74jährige Glemser wie z.B. Hans Herrmann, Jochen Mass oder Klaus Ludwig als Markenbotschafter im klassischen Rennsport für Daimler Classic unterwegs. So kommt es dass man einen (oder gleich mehrere) dieser Grandseigneur häufig auf den diversen Veranstaltungen antreffen kann, wie eben am vorverangenen Wochenende bei den Classic Days auf Schloß Dyck.

Mit Herrn Glemser im SL Nummer 5

Mir, Dreikommanull, wurde ermöglicht auf dem Beifahrerrennsportsessel der legendären Nummer 5, jenem 300SL (W194) der u.a. auch bei der Panamericana eingesetzt wurde platz zu nehmen. Natürlich habe ich versucht meine Eindrücke irgendwie auf digitales Zelluloid zu bannen. Vorneweg kann man sagen: irre – saulaut, sauheiss, saueng! Man muss die Kerle von damals absolut bewundern, es in solchen Badewannen ausgehalten zu haben. Noch dazu weil z.B. der Schalthebel ausschaut wie in einem Transporter der Baureihe 207. Aber seht selbst, das Zwischengas ist einfach göttlich!


Marc „Dreikommanull“ Christiansens Mitfahrt in der legendären „Nummer 5“ der Baureihe 194, dem „Ur-Flügeltürer“. Im vorausfahrenden 300 SLR sitzen Hans Herrmann (Fahrer) und Sir Stirling Moss 

Mit Glemser im SL 63 AMG Safety Car

Derselbe Fahrer, aber ein anderer Beifahrer, und wir spulen 50 Jahre vor in automobilhistorischer Hinsicht:


SL 63 AMG Formula 1 Safety Car 2008 beim Rangieren nach dem Schaulauf. Ab 0:30min bitte die Boxen laut aufdrehen :-)

Ich alias Fünfkommasechs lasse mich nicht zweimal bitten, die Beifahrerposition im SL 63 AMG Safety Car einzunehmen und stelle fest: hier geht es schon deutlich gemütlicher zu als in Marcs Renntaxi – trotz Schalensitzen mit Hosengurten, Leichtbau und Verzicht auf jedweden Schnickschnack inklusive eines Beifahrerairbags.


„Ein Auto für echte Männer“
ruft Herr Dreikommanull durch das geöffnete Beifahrerfenster hinein und Herr Glemser lacht, während ich von der Rennorganisation ein grünes Armbändchen erhalte und im Gegenzug qua Unterschrift einwillige, daß ich für die Reinigungskosten selbst aufkomme, sollte man mich nachher gleich vom Armaturenbrett kratzen müssen. Aber was soll schon passieren, wenn man einen solchen Chauffeur hat?

Dieter Glemser, 74 Jahre jung, im schwarzen Dress mit silbrigen Locken und dunkler Sonnenbrille, verströmt durchaus die Aura der international erfolgreichen Rennfahrerlegende. In seiner nur etwa 10 Jahre dauernden aktiven Zeit hat er bewiesen, daß er im Rennsport alles kann – außer hochdeutsch. Als ich mit der dicken Kamera bewaffnet auf dem Beifahrersitz des SL 63 AMG sitze und beim Warten auf das Startsignal diverse Bilder von ihm am Steuer mache, ruft er mir in unnachahmlicher Weise zu: „Fotografiere Sie nit mich, sondern henterenaus. Des sinn die wichtige Leid!“ und zeigt mit dem Daumen zum Heckfenster.

Hinter unserem Safety Car haben sich Hans Herrmann im W194 und Sir Stirling Moss im W196 eingereiht. Der sonst sehr bescheidene Herr Glemser hatte zuvor seinen leichten Unmut darüber kaum verhehlen können, daß man maximal 80km/h auf dem kleinen Rundkurs fahren dürfe. Aber sehr viel mehr ginge hier ohnehin nicht, denn der kleine Circuit ist eine Aneinanderreihung enger Wege und Alleen und führt stellenweise durch Wohnsiedlungen. Trotzdem lassen wir am Beginn der kurzen Gerade gerne mal das Heck tanzen, was mit 525 PS an der Hinterachse wenig Fahrpedaldruck erfordert. Der Sound ist sinneraubend und Herr Glemser freut sich, daß ich mich freue.

„Der fährt ganz langsam, der Stirling Moss!“ schmunzelt er beim Blick in den Rückspiegel und läßt die beiden historischen SL geduldig immer wieder zu uns aufschließen.

Sobald wir an Zuschauergruppen vorbeikommen, betätigt er das Warnsignal. Unser Safety Car ist natürlich mit allerlei Akustik- und Lichtsignalen ausgestattet, passend für jede Einsatzsituation. Die untere Mittelkonsole erinnert mit den Farbtasten an ein altes „Senso“-Spiel aus den Achtzigern.

Für mich, Fünfkommasechs, ist das ganze wie ein Traum: vor begeistertem Publikum und bei herrlichstem Wetter im Konvoi mit zwei der weltberühmtesten und wertvollsten Sportwagen  mitfahren zu dürfen, pilotiert von den Stars und Superstars der 50er, 60er und 70er Jahre. Besonders in Erinnerung bleiben wird mir dabei, daß auch Herr Glemser sich wie ein kleiner Bub darüber freute und man spüren konnte, daß das hier auch für ihn keineswegs alltäglich war.

Als uns das Schild „Last Lap“ angezeigt wird, rufe ich Herrn Glemser durch den bollernden V8-Sound zu: „Schade, ich könnte hier noch stundenlang fahren!“ Er nickt. „Ich auch!“ antwortet er und meint es so. Nach dieser Runde biegen wir ein Richtung Fahrerlager und werden auf unsere Parkpositionen geleitet. Als ich aussteige bin ich natürlich ganz besonders vorsichtig, mit der Tür nicht das Fahrzeug neben uns zu beschädigen.

Was auf dem Supermarktparkplatz eher selten vorkommt ist, daß man neben einem SL-Prototypen aussteigt, der mit 30 Mio. Euro noch als unterversichert gilt und dem gerade Hans Herrmann entsteigt… wieder so ein Bild, das sich mir lange einprägen wird.

Weil auch zehn weitere Textseiten das Erlebnis nicht beschreiben könnten und wir dann immer noch nicht viel vom eigentlichen Event, den Classic Days, erzählt hätten, empfehlen wir unbedingt den folgenden Link zu unserer umfangreichen Fotogalerie: [KLICK]

Und hier noch ein kleiner Filmschnipsel vom Aufwärmvorgang des 300 SLR W196 durch Ingenieur Uwe Karrer, der mit seiner besonderen Technik gepulster Gasstöße den historischen Reihenachtzylinder-Direkteinspritzer auf Betriebstemperatur bringt. Der Prozess dauert mehrere Minuten und ist nicht nur ein publikumswirksames Spektakel für die Ohren, sondern wohl auch bitter notwendig, um die Zündkerzen des alten Formel-1-Wagens nicht verkoken zu lassen. Der kleine ältere Herr mit den lustigen Hosenträgern, der am Ende des Videos voller Tatendrang zu Herrn Karrer läuft, ist übrigens der historisch passende Fahrer zum Fahrzeug ;-)

Fotos: ©fuenfkommasechs.de & Daimler AG

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