Ich weiß noch wie es war, am 18.Dezember 2019 als ich in Erfurt ein Mercedes-Autohaus betrat und zum ersten Mal meinem eigenen Shooting Brake leibhaftig gegenüber stand. Damals war es für mich kein Problem und auch absolut nichts verwegenes, in weiter Ferne sitzend via Telefon, Mail und WhatsApp einen zwei Jahre alten CLS zu erwerben. Junge Sterne nennt man das und der Wagen bzw. die Baureihe war über jeden Zweifel erhaben – somit hatte der Verstand keine weiteren Einwände.
Doch was ist dieser Shooting Brake jetzt eigentlich? Oder noch besser, was ist ein CLS?
Mercedes-Benz war einmal der Marktführer, zugleich ein Innovator der voranging, einer dem andere folgten. Ein Unternehmen auf welches ein ganzes Land voller Stolz blickte und welches auf der ganzen Welt positiv mit Deutschland verbunden war – wobei derjenige, der es aussprach, immer auch ein gewisses Glänzen in seinen Augen hatte. So positiv belegt sind nur wenige Dinge die zwar von vielen Menschen erträumt werden, sich jedoch nicht jeder erfüllen kann.
Doch kommen wir zurück, wir schreiben das Jahr 2003, genauer den 15.September, es ist IAA-Zeit. Diese findet selbstverständlich in Frankfurt ohne Frage oder Scham statt und im Falle von Mercedes in der glamourösen Festhalle – exklusiv versteht sich. Dort steht ein rotmetallic-farbenes Fahrzeug, Pardon ein Coupé. Genauer, ein Coupé mit vier Türen (welches auch aus dem Hause Jaguar oder Lancia hätte entstammen können), dieses stylische Fahrzeug hört auf die Bezeichnung „VISION CLS“.
Der Betrachter konnte damals vor Ort schnell feststellen, dass es sich hier weit weniger um eine Vision handelte, als vielmehr um ein Serienfahrzeug welches zur Vision umgebaut wurde.
Die Begeisterung in den Medien und bei potentiellen Kunden war enorm und bereits ein gutes Jahr später, ab Oktober 2004 konnte man den CLS der Baureihe 219 erwerben. Dieses Automobil war konkurrenzlos und hatte sich soeben seinen eigenen Markt erschlossen – auch wenn sich seit seiner Präsentation einige Neider an der Bezeichnung „viertüriges Coupé“störten.
Die Anstrengungen mit der man aus einer profanen E-Klasse (man möge mir verzeihen) ein solch elegantes und zugleich graziles Automobil auf die Räder gestellt hatte, müssen enorm gewesen sein, gerade für eine Firma wie Mercedes-Benz. Doch damals gab es Macher von Format, mit Namen Hubbert, Weber, Zetsche und Pfeiffer. Erstgenannter – auch als Mister Mercedes bekannt – stellte damals die Vision CLS höchstpersönlich in der Festhalle der Weltöffentlichkeit vor.
Man hatte eine Marktlücke erschlossen ohne dass es sie je gegeben hatte. Chapeau!
Wie exklusiv und besonders auch innerhalb des Fahrzeug-Portfolio von Mercedes-Benz dieser erste CLS war, konnte man bei der Präsentation der Nachfolge-Baureihe erkennen. Nicht dass der C218 genannte CLS der zweiten Generation weit weniger schön und exklusiv daherkam, doch man hatte an einigen kleineren Extravaganzen gegeizt und war sich dennoch der Platzierung als Luxusableger oberhalb der E-Klasse und knapp unterhalb der S-Klasse treu geblieben.
Als so genanntes „Designer-Auto“ wurde das neue Modell dann auch auf dem Pariser Autosalon im Oktober 2010 vorgestellt. Der verantwortliche Designer Hubert Lee verwirklichte unter der Leitung von Gorden Wagener ein grandioses Design, denn auch heute wirkt dieser Wagen nicht wie ein bald schon 15 Jahre altes Fahrzeug.
Der C218 stach von Anbeginn aus der Masse der Fahrzeuge heraus, war durchaus modisch, doch dabei zeitlos. Die Modellpflege, welche im Sommer 2014 im Rahmen des Goodwood Festival of Speed in England vorgestellt wurde unterstrich diese zeitlose Eleganz noch einmal.
Doch nicht so schnell – der CLS hatte mit seiner Erscheinung eine neue Begehrlichkeit bei der Kundschaft hervorgerufen, so dass es auch zügig me-too Produkte von anderen namhaften Automobilherstellern gab. An dieser Stelle sei der Volkswagen Passat CC genannt (ab 2008), der BMW 6er Gran Coupé (ab 2012) und im entfernteren Sinne auch ein Porsche Panamera, Aston Martin Rapide oder Audi A7.
Übrigens, das erste viertürige Coupé der Neuzeit kam bereits in den 1950er Jahren auf – seinerzeit gab es vom Rover P5 eine Variante mit abgeflachter Dachlinie.
Doch kommen wir zum Kern dieses Textes – dem Shooting Brake und bemühen ausnahmsweise einmal ChatGPT um etwas Klarheit in die Definition zu bringen:
Ein Shooting Brake ist ein Automobil, das die Merkmale eines Kombis und eines Coupés kombiniert. Es handelt sich um eine zweitürige Karosserievariante mit einem sportlichen und eleganten Design, die jedoch mehr Stauraum bietet als ein herkömmliches Coupé.
Der Begriff „Shooting Brake“ stammt ursprünglich aus dem Englischen und bezieht sich auf ein Fahrzeug, das zur Beförderung von Jagdwaffen und -gerät verwendet wird. Die Bezeichnung „Brake“ könnte sich von dem französischen Wort „bracque“ für „Jagdhund“ oder vom altenglischen Wort „brack“ für „Jagdhund“ ableiten.
Die Schreibweise „Brake“ wird heutzutage in der Regel für Fahrzeuge verwendet, die tatsächlich für den Transport von Jagdausrüstung gedacht sind, während die Schreibweise „Break“ für Fahrzeuge verwendet wird, die eher als Luxus- oder Sportwagen konzipiert sind. In der Praxis werden die Begriffe jedoch oft synonym verwendet.
Jetzt bitte nicht an der Thematik Zwei- vs. Viertürer stören – der Markt für einen Shooting Brake in klassischer Ausprägung wäre so verschwindend gering, dass sich einfach kein Automobilhersteller daran wagen würde. Den aktuellsten Versuch machten die Münchner vor einem Jahr in der Villa d’Este.
Bei Mercedes waren es maßgeblich Persönlichkeiten wie Dieter Zetsche und Thomas Weber, die einem „Kombiableger“ auf Basis eines Mercedes-Coupés offen gegenüber standen und diesen immer wieder forderten wie auch förderten.
Bereits im Herbst 2008 auf dem Pariser Autosalon – Gorden Wagener hatte gerade das Zepter als Mercedes-Designchef von Peter Pfeiffer übernommen – präsentierte man die Designstudie „Concept Faszination“, welche einerseits das Gesicht der neuen E-Klasse Baureihe 212 vorstellen, wie auch die Akzeptanz eines eher bedingt praktischen zweitürigen Kombifahrzeugs für gut betuchte Kunden ausloten sollte. Das Echo war gemischt – dennoch begann mit dieser Designstudie langsam der Weg zu den später in Fülle verfügbaren „Dream Cars“ bei Mercedes.
Keine zwei Jahre später im April 2010 stand die viertürige Designstudie „Concept Shooting Break“ auf der Motorshow in Peking und hatte wieder die Aufgabe die neue Designsprache eines kommenden Models vorwegzunehmen, in diesem Fall die des neuen CLS. Gleichzeitig wollte man die Reaktionen testen, wie der Markt auf einen möglichen echten Luxuskombi reagieren würde. (ja, seinerzeit wurde dieses Fahrzeug noch als Break, statt Brake bezeichnet)
Die Berichterstattung war überwältigend und so ging man im Sindelfinger Mercedes Technology Center schnell den gewohnten Weg und arbeitete eifrig weiter an der Serienversion des X218. Offiziell gemacht wurde dieser Plan durch die Verkündung von Dieter Zetsche im November 2010: „Mit der Entscheidung, den CLS Shooting Brake zu bauen, unterstreicht Mercedes einmal mehr seine Führungsrolle bei neuen Fahrzeugkonzepten und beim Design – und genau das erwarten die Kunden von uns“.
Und wieder war es die internationale Modemetropole Paris, welche man als Ort der Weltpremiere für solch ein besonderes Fahrzeug wählte – im Oktober 2012 war es dann schließlich soweit, die Bezeichnung Shooting Brake war wieder in aller Munde und der X218 betrat die Bühne der Welt. Doch ganz so international war der Shooting Brake nicht, eine Ausnahme machten hier die USA und China, beides keine klassischen Kombimärkte.
Doch was ist jetzt eigentlich das besondere am Shooting Brake?
Einfach formuliert, seine Gesamterscheinung, das Gesamtpaket seiner Eigenschaften, gepaart mit diesem Design.
Man sprach mit diesem Fahrzeug (wieder einmal) völlig neue Käuferschichten an, die sich bisher mit dem Segment des E-Klasse T-Modells und seiner Rivalen begnügen mussten, bzw. eine S-Klasse Limousine oder Coupé fuhren, sich aber praktisch täglich durch deren verminderte Variabilität einschränken mussten.
Nun gab es ein neues Allroundfahrzeug, doch anders als es diese Bezeichnung zu implizieren vermag, konnte man problemlos überall mit diesem „Kombi“ vorfahren und wurde gleichwohl als arriviert wahrgenommen.
Sicher als Jagdwagen mit frisch erlegtem Rotwild im Kofferraum werden die wenigsten ihren X218 genutzt haben oder noch nutzen und dennoch erfüllt dieses Auto seinen Zweck auf geradezu idealste Art und Weise. Und das in einer Welt die beim Stichwort Allroundfahrzeug vermutlich erst einmal an den drölfsten SUV Crossover denkt.
Man sieht die Qualität für die Mercedes einmal berühmt gewesen ist in jedem Winkel dieses Fahrzeugs – öffnet man zum Beispiel das Gepäckabteil, so fallen einem die serienmäßig mit Leder Artico bezogenen und mit Sichtnaht versehenen seitlichen Verkleidungen in selbigem auf, wie auch der reichlich ausgelegte weiche Flauschvelours der sogar an der Verkleidung der Rückwandtüre seinen Einsatz fand. Falls der Erstbesteller sein Kreuzchen beim Sonderausstattungscode B27 gemacht hat, kann man seinen Rimowa auf einem Ladeboden aus affenporigem amerikanischem Kirschbaumholz, verziert mit edlen Aluminiumschienen, ablegen – fast wie an Bord eines Riva Bootes.
Neben der Verarbeitung sind es auch die Fahreigenschaften die diesen Wagen so hervorheben – zum Beispiel stellte man die untere Lenkerebene der Vorderachse deutlich steiler an und konnte so das Wankzentrum anheben. Der Effekt: mehr Agilität bei gleichzeitig gesteigertem Federungskomfort. Dies führt in Verbindung mit der erstmals im oberen Fahrzeugsegment eingeführten elektromechanischen Direktlenkung zu einem wahrlich einmaligen Fahrerlebnis, für diese Fahrzeugklasse.
Doch leider ist diese Karosserieform Shooting Brake seit Ende 2017 Geschichte bei Mercedes, lediglich die vormals in der so genannten Golf-Klasse angesiedelten Modelle A-Klasse und CLA Coupé bieten noch einen Shooting Brake, der insbesondere in der Vorgängerversion X117 praktisch eine leicht geschrumpfte 1zu1-Kopie des großen Originals ist. Das wird jedoch oben skizzierte Käuferschicht nicht beruhigen oder gar ansprechen.
Und auch die Konkurrenzmodelle aus Zuffenhausen und Wolfsburg sind mittlerweile nur noch als Jahres- oder Gebrauchtwagen zu bekommen – der Transformation des Fahrzeugantriebs sei Dank.
War das Modell für Mercedes erfolgreich? Leider nicht wirklich und das ist auch mit ein Grund für sein relativ frühes Ende. Er musste weichen im Portfolio, seinen Platz nam der AMG GT Viertürer (X290) ein – jedoch war dies kein wirklicher Ersatz für den X218, wie es auch der S213 E-Klasse T-Modell AllTerrain nicht sein konnte.
Mittlerweile hat man sich bei Mercedes sogar dazu entschieden den CLS gänzlich nicht mehr anzubieten – im Dezember 2023 war Schluss mit dem letzten der Dream Cars mit Stern.
Doch es gibt auch etwas beruhigendes – mit Stichtag zum 1.Januar diesen Jahres waren noch 8.320 Fahrzeuge des X218 in Deutschland zugelassen.
Der ehemalige Entwicklungsvorstand Professor Thomas Weber zumindest fuhr durchweg einen CLS 63 AMG Shooting Brake in rotmetallic als Privatwagen (solange dieses Modell im MA-Leasing angeboten wurde) und auch der ehemalige Chefingenieur der besten S-Klasse aller Zeiten (die Baureihe 222 ist gemeint) hat sich für die Zeit in wohlverdienter Rente einen X218 als Wegbegleiter ausgesucht. Was soll man dazu noch mehr sagen?
Dieser Artikel ist zuerst auf Mercedes-Fans.de erschienen. KLICK