Liebe auf den ersten Blick? Gibt es das? Bei einem Auto??
Vergangenen Donnerstag war es endlich soweit, ich hatte ein Blinddate mit ihr. Im Gewerbe- und Industriegebiet von Sindelfingen sollte es soweit sein, genauer gesagt in den dort beheimateten DEBEOS-Studios.
Zum Glück wurde ich dorthin chauffiert denn ich muss zugeben, ich war schon sehr aufgeregt und auch ein bisschen nervös… wusste ich doch überhaupt nicht was mich an diesem Tage erwarten werden würde – nur mit der Gewissheit ihre älteren Schwestern schon seit langer Zeit gut zu kennen betrat ich den modernen Betonkomplex.
Jetzt war es soweit, nur noch wenige Meter trennten uns von einander – ob sie wusste, dass ich ihr bereits so nahe war? War sie am Ende vielleicht genauso aufgeregt wie ich?
Mein Herz raste, es pochte ganz wild. Daran konnte auch der Umstand nichts ändern das ich gar nicht allein sein würde mit ihr…
Hinter meterhohen Absperrwänden und nur einem Eingang – von einem Wachmann bewacht – lag der Darkroom in dem unser Blinddate stattfinden würde, ein geheimnisvoller Ort.
Smartphone abgeben, freundlich lächeln und ich war am Ziel!
Da stand sie, die neue S-Klasse von Mercedes-Benz, sogar gleich in dreifacher Ausfertigung. Allesamt Modelle mit langem Radstand, also V222 um genau zu sein.
Erstmals in der Geschichte der S-Klasse standen bei der Entwicklung und Rohbauplanung die Modelle mit langem Radstand im Fokus, von denen dann die Modelle mit kurzem Radstand (W222) abgeleitet wurden. In der Vergangenheit war es immer andersherum gewesen und so stellt es deshalb eine kleine Revolution dar.
Der Radstand der Modelle mit langem Radstand bleibt wie bisher beim W221 bei 13 cm Verlängerung, zu einem späteren Zeitpunkt kommt dann noch die XL-Variante deren Radstand vermutlich um 30-40 cm verlängert sein wird (dies ermöglicht dann noch mehr Beinfreiheit und den Einbau z.B. einer Trennwand zum Fahrer hin).
Aber zurück zu meinem Blinddate – die drei Grazien stehen leicht verhüllt durch tarnende Mattfolien und dennoch in ganzer Pracht vor mir.
Man sagt der erste Eindruck entscheidet – doch was will man schon sagen wenn man gerade so die Lichtbögen der ILS-Voll LED Scheinwerfer durchschimmern sieht und ansonsten nur einen riesigen Chromkühlergrill auf einem großen, schwarzen Karosseriekörper?
Genau, es zählen ja auch die inneren Werte…
Wir dürfen die Türen öffnen, die Fahrzeuginnenbeleuchtung erhellt den Fahrgastraum und auch die neuartige Ambientebeleuchtung empfängt den Fahrgast mit einem noch nie da gewesenen Schauspiel, ein toller Anblick!
Die optionale Ambientebeleuchtung (SA-Code 877) hält sieben Farben vor die vom Fahrer in einer gestuften Intensität angewählt werden können. Sie beleuchtet quasi alles im Fahrgastraum, Türleisten, Türgriffe, Haltegriffe, das Armaturenbrett, das schwebende Kombiinstrument mit seinem Comand-Bildschirm, die Mittelkonsole vorne wie hinten (letzteres wohl nur wenn die Ausstattung First-Class Fond SA-Code 224 geordert wurde), ja selbst hinter den Einzelsitzen im Fond ist jeweils ein Lichtbogen verbaut.
Erstmals ist man bei Mercedes auch von der amber-farbenen (Bernstein) Symbol-Beleuchtung weggegangen. Sie wurde damals mit dem SL R129 und dem W140 Anfang der 1990er Jahre eingeführt, hier beleuchteten erstmals LEDs statt Glühbirnen die Schalter und Symbole. Damit alles weiterhin Ton in Ton war wählte man seinerzeit diese Farbvariante. Um nun im W222 einen möglichst neutralen und modernen Auftritt neben der Ambientebeleuchtung zu gewährleisten wählte man die Farbe weiss – somit leuchten sämtliche Symbole und Schalter nun in schickem weiss!
Zunächst nehme ich hinten rechts Platz, vorne sitzt einer der zahlreichen anwesenden Mercedes-Entwickler und erläutert mit voller Stolz und mit glänzenden Augen was alles für ein Aufwand und eine Hingabe zum Detail betrieben wurde um die Baureihe 222 so elegant und luxuriös wirken zu lassen.
Es ist kein Mercedes mehr wie man sie bisher kannte, der Schritt vom W221 zum W222 ist in etwa so radikal wie seinerzeit vom W126 zum W140!
Die Baureihe 222 läutet – genau wie damals der Vorvorvorgänger – eine völlig neue Ära ein, das sieht man auf den ersten Blick.
Die neue S-Klasse ist auch mit zahlreichen SAs an Bord definitiv etwas anderes als ihr Vorgänger, es ist bei sehr identischen, nur minimal verbesserten Innenraum-Abmessungen (der W221 war ja schon äusserst geräumig), eine Art Über-Mercedes entstanden – also eher ein Fahrzeug das man zwischen S-Klasse und dem bereits eingestellten Maybach platzieren würde!
Die runden Lüftungsdüsen am Armaturenbrett und im Fond sehen in Wirklichkeit viel schöner aus als auf den Fotos. Sie sind auch in dem neuen cool touch-Material gehalten und haben deshalb eine Optik und einen Griff wie Aluminium, sind es aber aus Fertigungs- und Gewichtsgründen nicht. Jedoch sind die für die SA First-Class Fond optionalen Klapptische es gewiss: wie in der First-Class von Lufthansa (als Beispiel) kann man aus der Mittelarmlehne zwischen den Einzelsitzen im Fond zwei wunderschöne Tische – die eine mit farblich passendem Leder ausstaffierte Arbeitsfläche bereithalten – heraus klappen und sich so wirklich wie im Flugzeug fühlen, fehlt nur noch die Stewardess – eine wahrlich ingeniöse Meisterleistung!
An dieser Stelle möchte ich noch nicht allzu viel verraten, denn ohne euch Fotos davon zeigen zu können ist es leider nur schwerlich vorstellbar… aber jetzt, noch gut sieben Wochen vor der Weltpremiere, ist es eben ein bisschen zu früh für so etwas.
Nun wechsle ich den Platz, ich möchte endlich hinters Volant!
Die Vordersitze sind genauso bequem wie die Sessel im Fond (dazu in einem gesonderten Bericht mehr), ich schliesse sanft die Türe und sie wird geräuschlos von der Servoschliessung ins Schloss gezogen – seit dem W140 eine der in meinen Augen besten Erfindungen der Welt!
Das Lenkrad sieht in der Tat auf den Fotos zum jetzigen Zeitpunkt (da schlecht ausgeleuchtet) etwas merkwürdig aus, aber ich kann euch versichern und beruhigen, es ist super und man möchte etwas anderes nicht haben. Eine S-Klasse ist kein Flitzer wie ein A250SPORT oder ein CLA oder ein Sportwagen im Limousinen-Gewand wie z.B. ein E63 AMG… diese brauchen sportliche 3-Speichen Lenkräder, eine S-Klasse war, ist und bleibt aber eine Langstrecken-Reiselimousine!
Der obere Bereich des Lenkradkranzes ist optional vollständig in Holz gehalten, der untere Teil des Lenkradkranzes nur im inneren Bereich und zusätzlich mit einer Aluminium-Spange verziert. Den Abschluss bildet auf der 6 Uhr-Position ein schicker „Mercedes-Benz“ Schriftzug auf einer Plakette, ähnlich wie schon vom neuen SL der Baureihe 231 her bekannt. Es gab wohl noch nie ein aufwendigeres Lenkrad in einer S-Klasse als in der neuen Generation – übrigens ganz klar (wie Kollege 5,6 schon sagte) eine Reminiszenz an die Baureihe W108/109!
Doch noch deutlich interessanter ist das völlig digitale Kombiinstrument, was ein exaktes Pendant des COMAND-Bildschirms darstellt. Beide sind in einer ca. 1cm dicken schwarzen Umrandung zu einem Element zusammengefasst. Die technischen Daten nur am Rande, Format 8:3 (12,3 Zoll) und jeweils eine Auflösung von 1.440 x 540 Pixel. Für das menschliche Auge in allen üblichen Abständen zu diesen Displays definitiv HD-Charakter, da bleibt kein Wunsch offen – aber vorerst nicht mehr hiervon, wir bemühen und um ein Vorab-Foto vom Kombiinstrument, mal sehen ob wir das bekommen können um es euch präsentieren zu dürfen.
Der Pressetext spricht an dieser Stelle von einem so genannten „Corona-Effekt“ der die Displays schweben liesse. Das liest sich wie eine typische Übertreibung, die immer ein Stück weit in solchen Texten üblich ist. Jedoch wenn man es mit eigenen Augen gesehen hat, wie dieses Stück High-Tech dort in seiner Höhle im mit Leder ausgeschlagenen Armaturenbrett schlummert, der weiß das es keine Übertreibung war! Das Display-Arrangement scheint von hinten und damit unsichtbar, verankert zu sein und wird rundherum sanft von der Ambientebeleuchtung getragen – es schwebt tatsächlich.
Für jemanden der Laptops, Tablets und Smartphones toll findet bzw. bei dem diese die täglichen Begleiter sind, der wird die neuen Displays mit ihren detaillierten und liebevollen Grafiken zu schätzen wissen – für mich als Reiserechner-Fan waren Displays immer schon beeindruckend und ich kann den Schritt nachvollziehen, denn ohne diese digitale Lösung wäre das was hier möglich sein wird einfach nicht möglich gewesen. Vor allem war dies immer schon das Ziel von Mercedes – bereits im 1981 vorgestellten Forschungsfahrzeug „Auto 2000“ bediente man sich eines Displays statt herkömmlicher Anzeigen und das Kombiinstrument des W220 ist doch eine Art analoges Display, vom Design her.
Leider wird unser Blinddate recht abrupt beendet, denn auch andere wollen sie sehen… die Zeit mit ihr verging wie im Fluge und ich habe praktisch nichts gesehen – klingt komisch, ist aber Tatsache.
So ist es wenn man für jemanden schwärmt, das was man sehen möchte (vor dem geistigen Auge) das sieht man nicht mehr…
Deshalb kann ich es heute schon kaum erwarten wenn es hoffentlich ganz bald ein Wiedersehen mit ihr geben wird!
Mich hat es jedenfalls erwischt, habe mich da schon ein bisschen verguckt… in das Prachtexemplar mit der Ziffer 222.
Fotos: ©fuenfkommasechs.de & Daimler AG