Es ranken sich Mythen und Verschwörungen um solche Fahrzeuge der Gattung „Bandabgänger“, so nennt man bei Daimler seit weit über 30 Jahren das jeweils letzte produzierte Serienmodell einer Baureihe, welches sogleich vom Endkontrollband in die heiligen Hallen des Musemsfundus überführt wird. Dort schlafen die Neuwagen dann den Schlaf der Gerechten, bis irgendwann jemand auf die Idee kommt doch mal „so einen alten Mercedes“ aus der Versenkung zu holen, weil dieser ja mittlerweile in einem Alter angekommen ist, so das er fast schon so etwas wie Kultstatus genießt. Eine kleine Übersicht über die S-Klasse Bandabgänger gibt es [HIER]
So oder so ähnlich erging es auch dem anthrazitgrauen (172) Typ 560SEL der Baureihe 126, genauer gesagt ein V126 – handelt es sich hierbei doch um die Lang-Limousine mit 14cm mehr Radstand im Fondbereich.
Seit Jahrzehnten bin ich fasziniert von diesem einen Wagen, weil er eben etwas ganz besonderes ist, nicht nur weil ihn mein Vorbild (aus Kindertagen) Prof. Niefer in Sindelfingen am Band an den damaligen Museumsleiter übergeben hat, sondern vielmehr auch weil er eine Art Benchmark ist. Immerhin ist die Baureihe 126 immer noch die am längsten gebaute Oberklasse-Limousine der Welt, verglichen mit ihrem Absatz von fast 900.000 Einheiten (incl. Coupés und Turbodiesel). Doch seit ein paar Monaten wurde sie von der gerade ausgeschiedenen Baureihe 221 überrundet, aber nur wenn man die Produktionszeit ins Verhältnis setzt – im absoluten Absatz kann wohl keine Luxuslimousine je dem W126 das Wasser reichen.
Ja und genau dieser graue 560er tauchte immer mal wieder aus der Versenkung auf und wurde auch für neuere Pressefotos schon mehr oder weniger genauestens abgelichtet – das war damals im Jahr 2005, als die S-Klasse W221 gerade Premiere feierte. Danach kamen leider hier und dort kleinere Auftritte in der Fach-Presse und als Krönung eine Verschleißfahrt im Frühjahr diesen Jahres auf der legendären Einfahrbahn in Untertürkheim. Was man sich dabei bloss gedacht hat?
Doch die Baureihe 126 (und dieser 560SEL hier ganz besonders) steckt viel weg bevor sie die Segel streicht und so schaut der letzte je gebaute Wagen dieser Serie immer noch aus wie ein Neuwagen…
ZUM GLÜCK!
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Das Problem ist einfach: dieser Wagen ist nicht ersetzbar, er ist ideell wertvoller als jeder 300SL Flügeltürer aus den 1950er Jahren, denn er besitzt die letzte Fahrgestellnummer, genauer die 605.721, dieser besonderen S-Klasse Baureihe und sollte heute als reines Vorzeigeobjekt dienen und niemals unbewacht in der Öffentlichkeit stehen. Er hat hier und dort schon leichtere Schrammen und kleinere Blessuren davon getragen – ob das wirklich nötig war?
Wir hoffen jetzt einfach mal auf das Beste und das dieser Wagen nicht mehr für x-beliebige Veranstaltungen genutzt werden wird – denn neben der Fahrveranstaltung auf der Einfahrbahn tourte dieser Wagen auch durch zig Einkaufszentren im vergangenen Jahr!
Denkt dran Museum, er ist nicht ersetzbar!
Aber kommen wir doch zum Kern dieses Artikels zurück – warum schreibe ich hier das alles überhaupt: Herr Fünfkommasechs und meine Wenigkeit hatten vor einer Woche bei den Classic Days auf Schloß Dyck die einmalige Gelegenheit den letzten W126 einmal im Schnellverfahren auf Herz und Nieren zu untersuchen, gerne hätten wir wirklich jeden Millimeter der Karosserie gescannt und in Gedanken mit unseren eigenen Fahrzeugen verglichen, doch das hätte wohl wirklich die Nerven bei den freundlichen Betreuern von Mercedes-Benz Classic überstrapaziert. Die Zeit raste nur so an uns vorbei… am Ende waren wir mit Sicherheit mehr als zwei Stunden (auf zwei Tage verteilt) beim 560SEL und wollten uns gar nicht mehr trennen, kein Wunder!
Dies hier soll einfach ein erster detaillierterer Bericht werden, uns wurde versichert, dass wir den Wagen und vielleicht sogar das Bandabgänger-Coupé noch einmal genauer unter die Lupe nehmen dürften – die Vorfreude bleibt also bestehen.
Was fiel auf, an jenem Wagen der in zwei Wochen genau auf den Tag vor 22 Jahren vom Band rollte: der Wagen ist immer noch wie neu, trotz seiner mittlerweile
3.867 Kilometer
auf dem Tachometer und doch hat er hier und dort etwas Patina angesetzt. Das war es auch was uns sehr verwunderte bzw. letztendlich auch wieder beruhigte: so ein Auto altert eben, auch bei bester Einlagerung und Pflege am ersten Platz den man sich vorstellen kann, der PWI in Stuttgart-Untertürkheim.
Zum Einen wären da das Kühlergrillgitter, die Kunststoffblenden in den Scheinwerfern und die Abdeckkappen der Scheinwerferwischerchen zu nennen – diese sahen durchweg aus wie bei gepflegten 126ern die aus erster Hand stammen und gut 100.000 Kilometer zurückgelegt haben. Mit anderen Worten: diesen Verschleiß kann man nicht wirklich aufhalten, er passiert eben und auch wenn es gerne mal vergessen wird – der W126 ist ein altes Auto.
Auch in Sachen Wurzelholzausstattung kann man beruhigen (oder warnen?), selbst im Bandabgänger durchsäumten drei größere Risse das Holz der Verkleidung um den Wählhebel und auf einem Pressefoto aus dem Jahr 2005 sieht man sogar die abgefallene Verkleidung des Aschenbechers in der Armaturentafel – alles Probleme die einem 126er Fahrer nicht unbekannt vorkommen. Sie verwundern am Bandabgänger aber zeigen auch die menschliche Seite an diesem besonderen 560SEL. In Würde gealtert und dennoch an den Punkten an denen es darauf ankommt mehr als taufrisch. Jedoch sah man immer noch wunderschön leuchthellorange strahlende Zeigernadeln im Kombiinstrument und der Lack der Wurzelholzausstattung war nirgends milchig oder unnatürlich.
Ich wage einfach mal die These auf zu stellen, dass noch niemand (außer vor 25 Jahren) einen W126 gesehen hat, der noch sämtliche Kontrollstempel und Aufkleber auf seinem Motorblock spazieren trägt. Man darf eben nie vergessen, das es sich hierbei wirklich um ein ganz besonderes Exemplar handelt – ein Referenzfahrzeug für nachfolgende Generationen!
Nirgendwo sonst kann man in die Ecken eines Motorraum schauen und zweifelsfrei erkennen wie es wirklich gemacht werden muss. Der Flair der Sindelfinger Meischter versprüht noch aus jeder Ecke dieses Modells! Ein „Pressefoto“ auf Rädern.
Hier ein Foto der Datenkarte im Original Serviceheft, sogar mit drei Eintragungen – jetzt weiß man endlich auch, das es einen Zwischenölservice gibt. Eigentlich müsste man aus lauter Spaß, einfach einmal einen solchen bei seinem Mercedes-Händler in Auftrag geben.
Der Heckscheibenrahmen war übrigens völlig rostfrei, wir haben natürlich nachgeschaut. Zumindest dieses Thema ist wohl dann doch einfach der Fahrzeugnutzung und Regen oder Fahrzeugoberwäschen geschuldet. Dennoch toll einmal nachschauen zu können wie es in diesem Winkel der Karosserie auszusehen hat.
Ihr fragt euch jetzt sicher was mit dem Fahrzeuginnenraum ist – leider waren wir beide einerseits ziemlich aufgeregt, andererseits war das Licht nicht ganz so optimal um einen Innenraum mit anthrazitfarbenen Velours korrekt einfangen zu können und als stärkstes Argument: der Herr Kollege Fünfkommasechs hat wieder einmal mehr gefilmt als fotografiert, Recht so!
Einen kleinen Vorgeschmack auf das was da noch in den kommenden Tagen erscheinen wird, liefert der folgende Teaser:
Niemand Geringeres als der Chef-Konstrukteur der S-Klasse persönlich, hat sich mit uns den Bandabgänger angeschaut und auch noch sein Schwester-Pendant, den goldenen 450SEL 6.9 in einem nahezu ähnlichen besonderen Zustand, wenn auch nicht mit dem Statut eines Bandabgängers gesegnet. Herr Dr. Storp war genauso begeistert und angetan wie wir, kein Wunder, aber das werdet Ihr alles noch in Bewegtbild erleben, seid gespannt!
Zum Schluß noch einmal „Danke“ an Mercedes-Benz Classic für die endlosen Minuten die wir an und in diesem Wagen verbringen durften und die einmalige Gelegenheit den Fahrzeugschlüssel in der Hand halten zu dürfen!