Vor genau 40 Jahren wurde die Baureihe 116 dem Publikum präsentiert, genauer gesagt die „neue S-Klasse„. Denn nicht nur dass es sich hierbei um den neuen großen Mercedes handelte, nein, fortan wurden sie durch Daimler-Benz auch als S-Klasse bezeichnet und erstmals als solche vermarktet.
Wir feiern also heute auch 40 Jahre S-Klasse, die Bezeichnung! Sie steht seit dieser Zeit kontinuierlich für das Maß aller Dinge. Egal in welchen Zeitabschnitt man schaut, es gibt immer wieder Dinge fern ab dem Automobilsektor, die ebenfalls als das Maß aller Dinge und damit als S-Klasse unter den XY Geräten angepriesen werden.
Nicht ohne Grund hat Daimler vor einigen Jahren die MOPF-Version der Baureihe 221 als „Ikone der Fortbewegung“ bezeichnet. Jeder der schon einmal eine S-Klasse gefahren hat oder auch nur mitgefahren ist, der weiß dass dies nicht weit hergeholt ist sondern vielmehr eine Tatbestandsbeschreibung darstellt.
Doch wie war das 1972, in den Anfängen? Der W116 darf getrost als Wegbereiter der Moderne bei Daimler-Benz gesehen werden. Auch 30 Jahre nach ihm war Manches das er vorgab noch im aktuellen PKW-Programm erkennbar, sie wurden durch ihn praktisch zu Gesetzmäßigkeiten.
Dies hier soll keine Auflistung jener Details werden die wirklich alle erstmals im W116 verbaut wurden, sondern vielmehr einige von ihnen etwas näher beleuchten und erhebt deshalb auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit!
Zwar kann man aufgrund der zeitlichen Überschneidung oftmals auch die SL-Baureihe 107 als Erfinder dieser und jener Eigenschaften oder Details nennen, doch das wäre nicht korrekt hinterfragt. Der W116 befand sich zeitglich mit der BR 107 in der Entwicklung und eigentlich sollten beide nur um einige wenige Monate getrennt auf die Märkte losgelassen werden. Da aber der VDA die IAA im Jahr 1971 kurzerhand absagte (dies hatte vielerlei Gründe) und auf das Jahr 1972 verschob, machte die Daimler-Benz AG ein übriges und verschob die neue S-Klasse ebenfalls um ein Jahr – es kam nicht ungelegen – denn es war natürlich nicht nur der Entscheidung der Verschiebung der IAA geschuldet, vielmehr gab es damals eine Reihe von großen Fragezeichen innerhalb der Gesetzgebung im Rahmen der Sicherheitsentwicklung für neue Personenkraftwagen, weltweit.
So kam es auch dass der W116 eine praktisch doppelte Weltpremiere genoß: einmal auf der IAA in Frankfurt und praktisch zeitgleich auf dem Mondial de l’Automobile in Paris.
Der W116 kann ohne Scheu als erstes, echtes (serienmässiges) Sicherheitsauto der Welt bezeichnet werden – er braucht sich vor nichts zu verstecken. Oben sieht man den Star der IAA im September 1973, den neuen Typ 450SEL und im Hintergrund einen gut sichtbaren Beweis für das hohe Sicherheitsniveau!
Seine Entwicklung fiel genau in das Zeitfenster der ESF-Modelle, der Experimental-Sicherheits-Fahrzeuge. Die ersten wurden 1970 und 1971 erdacht und dann kurz darauf erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.
Doch wir befassen uns jetzt mal wieder mit den Details des W116! Er vereinte eine Reihe ganz toller und für 1972 unglaublich fortschrittlicher Technik, eine Ingenieur-Meisterleistung.
Zum einen kann man hier das Innenraumsicherheitskonzept nennen, alles war großflächig abgepolstert, Türverkleidungen (zunächst nicht für die Einstiegsmodelle 280S/SE), spezielle Armaturenanlage, Pralltoplenkrad, Knieschutz, Sicherheitsgurte versenkt eingebaut und spezielle Sicherheitskopfstützen.
Das optische Layout des Kombiinstruments war so zukunftsweisend, dass es noch bis Ende der 1990er Jahre in sämtlichen Mercedes Modellen in nur marginal abgeänderter Form Verwendung fand. Man würde sich wünschen dass heutige Fahrzeuge auch noch so klare Instrumentenskalierungen hätten, die kann man wirklich im Bruchteil einer Sekunde sicher ablesen!
Aber neben der passiven Sicherheit – die auch eine extrem gestaltfeste und erstmals mit Hilfe des Computers (IBM) nach ESEM (Elasto-Statik-Element-Methode) entwickelte Fahrgastzelle beinhaltete – gab es auch eine Reihe enormer und beispielloser Leistungen auf dem Gebiet der aktiven und Konditionssicherheit.
Die Scheibenwischer liefen erstmals parallel – zwar bereits einige Jahre zuvor im ersten Porsche 911 präsentiert – aber diesmal etwas verfeinert durch Daimler-Benz in einer Limousine angewendet. Zudem gab es Regenableitbleche an den vorderen Windschutzsäulen die das Regenwasser von den Seitenscheiben fernhielten, auch eine Regenrinne oberhalb der Heckscheibe, so dass diese ebenfalls nicht so stark verschmutzte. Ein echter Clou waren ebenfalls die stark verrippten Schlußleuchten, hierdurch sammelte sich der Schmutz nur an den äusseren Bereichen und ließ eine Restillumination auch nach vielen Hundert Kilometern auf schlechten Straßen zu.
Auch hatte der W116 als erstes Auto überhaupt (weltweit betrachtet) eine nahezu zugfreie Be- und Entlüftung des Fahrgastinnenraums. Er war der erste Mercedes mit einem Heizungs- bzw. Klimatisierungsaggregat, d.h. es gab einen richtigen Klimakasten mit verschiedenen Stellklappen und integriertem Gebläsemotor. Später ab ca. Ende 1975 gab es sogar eine vollautomatisch 1-Zonen Klimaautomatik, die vornehmlich für den amerikanischen Markt erdacht worden war. Ein wirkliches Highlight stellten aber die belüfteten vorderen Türen dar, der Luftstrom (beheizt oder unbeheizt) strömte in die Türe und trocknete so einerseits die Türe ab, aber durchlüftete auch die Türverkleidung und wärmte so einerseits die Ablagefläche des Arms, bildete aber auch einen wärmenden Korridor für die Seite der Schulter die zur kalten Seitenscheibe zeigte – nach dem W126 und der 1.Serie W140 leider nicht weiter verwirklicht. (die Gründe sind nicht überliefert)
Weiter gab es eine im C111 Forschungsfahrzeug erprobte Vorderachse, die sich auch vor absoluten Sportwagen nicht verstecken musste – mit Lenkrollradius Null. Die Hinterachse war in den 450er Modellen mit einer Anfahrmomentabstützung ausgerüstet und verhinderte so das Eintauchen des Hecks bei starkem Beschleunigen.
Selbst so profane Dinge wie der Kombihebel (links am Lenkrad für Scheibenwischer, Blinker, Fernlicht zuständig) und ebenfalls ab 1975 der Tempomathebel waren für viele Jahrzehnte maßgeblich und in JEDEM Mercedes nach dieser Erstausführung verbaut worden. Der Bruch damit fand erst im vergangenen Jahr statt – aber wie sagt man so schön: Times they are a-Changing…
Rückblickend kann man der Baureihe nur danken, sie ist der Wegbereiter des modernen Mercedes geworden. Solide verarbeitet, klar und mit Verstand gezeichnet, eine Verarbeitung die auch teilweise heute noch ihres Gleichen sucht und vor allem eines: wertstabil und erhaltenswert.
Fotos: ©fuenfkommasechs.de & Daimler AG