Sonderschutzfahrzeuge

Hier wollen wir näher auf eine seltene Spezies der W126 Modelle eingehen – die Sonderschutzfahrzeuge – im Volksmund auch schlicht als Panzerwagen bezeichnet.
Deutscher Herbst: spätestens seit Ende 1977 war man in der Bundesrepublik Deutschland äußerst besorgt um seine Führungsorgane. Es kam nicht mehr in Frage das Spitzenpolitiker, Manager und sonstige wichtige Persönlichkeiten die im öffentlichen Interesse stehen in gänzlich normalen Serienwagen chauffiert wurden.

Die Daimler-Benz AG hat seit jeher eine ganz besondere Käuferklientel mit speziellen Fahrzeugen bedacht. Sei es der „große Mercedes“ (770K, W150) vor dem 2. Weltkrieg, oder der Mercedes 3-0-0 der heute den Spitznamen „Adenauer“ – benannt nach seinem berühmtesten Fahrer, dem ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer – oder aber der Mercedes 600. Von letzterem gab es ab Werk erste teilgepanzerte und vollgepanzerte Spezialversionen – aber mehr als eine Handvoll waren es nicht.
Man erkannte recht schnell das dies ein lukrativer Markt ist und die Daimler-Benz AG stellte die passenden Fahrzeuge her um ihre Kunden in allen Situationen eine überlegene Position zubereiten.

Beim Vorgänger-Modell W116 wurden erstmals speziell gepanzerte Fahrzeuge in Serie ab Werk geliefert. Das war damals eine wirkliche Weltneuheit, denn üblicherweise nutzte man fertige Fahrzeuge die man wieder zerlegte und dann nachträglich mit den Panzerplatten und dem Spezialglas ausstaffierte.
Hier ein 350SEL  – man erkennt deutlich das Fehlen des Chromzierrats um die Seitenfenster die bei diesem Typ nicht versenkbar waren!

Beim W126 wurde – durch die gesellschaftliche Entwicklung angetrieben – erstmals ein Sonderschutzfahrzeug von Grunde auf parallel mit dem Serienmodell entwickelt.

Die ersten Fahrzeuge wurde Ende 1980/Anfang 1981 ausgeliefert – zuvor wurde natürlich auch dieses Modell von der Stilistik-Abteilung vor dem Kuppelbau dem Vorstand präsentiert.

Unten ein recht seltener, weil kurzer Sonderschutzwagen Typ 380SE mit vorübergehend montierten Rundumkennleuchten (Daimler-Jargon für Blaulicht).

Interessant ist das es die Sonderschutzfahrzeuge von der Vorgängerbaureihe, aber auch vom W126 mit kurzem und mit langem Radstand als gepanzerte Fahrzeuge gab. Die kurzen SE-Modelle wurden meist von Spezialeinheiten der Polizei genutzt – GSG9 zum Beispiel. Hierbei ging es ja weniger um den opulenten Komfort der SEL-Modelle als um den Schutz der Insassen – der Wagen war Mittel zum Zweck.
Erkennbar sind die gepanzerten Modelle vom W126 in erster Linie an den dickeren Gummidichtungen und an mehr Fensterchrom an den Türen. Ebenso die Heckscheibeneinfassung ist deutlich massiver. Am unteren Ende der Frontscheibe war ein Alublech als Abdeckung montiert. Ansonsten wiesen die Fahrzeuge keine großen äusserlichen Änderungen gegenüber der Serie.

Oben ein 560SEL – jedoch mit den sehr seltenen 15 Zoll Schmiede-Barockfelgen der Firma Fuchs. Normalerweise hatten alle Fahrzeuge der zweiten Serie die Gullideckelfelgen montiert bekommen.
Die Felgen der Panzerwagen hatten jedoch eine andere Teilenummer als die der normalen Serie – sie mussten ja auch deutlich höhere Achslasten ertragen als bei den ungepanzerten Fahrzeugen. Aber die Reifen waren dennoch immer wieder ein Problem bei Attentaten – sie hinderten im beschädigten Zustand häufig die Flucht der Fahrzeuge. Da kam Ende 1988 eine Entwicklung der Continental AG genau recht – das so genannte CTS System.

Der Reifen bzw. die Felge haben ein recht ungewöhnliches Design, verfügen sie doch nicht über ein Felgenhorn und weisen eine andere Angabe der Reifenmaße auf.
Der Continental CTS-1 sollte ursprünglich die Serienbereifung des im Jahre 1989 neu anlaufenden SL Modells R129 darstellen, doch kurz vor der Präsentation des neuen Roadsters lehnte der Vorstand dies aus Kostengründen ab – so blieben diese Reifen nur für einen kurzen Moment der zivilen Nutzung per SA-Code 641 (Conti-Tire-System CTS 5-fach) für den R129 zum Preis von 1.345,20 DM zugänglich. Seit dieser Zeit sind sie Standard an den Sonderschutzfahrzeugen von Mercedes.

Diese Fahrzeuge verfügten weiter über sehr dickes Spezialglas welches einerseits keine optischen Störungen (Verzerrungen, etc.) hervorrufen darf, aber dennoch widerstandsfähig gegen Beschuss sein muss. Eine Windschutzscheibe kostet beispielsweise fast 30.000 EURO im Austausch.

Es gab serienmässig keine Fensterheber – nur eine spezielle, hydraulische Konstruktion machte es möglich die gepanzerten Fenster auch teilversenkbar zu machen. Wie sonst sollte man in ein öffentliches Parkhaus fahren können. Auf Sonderwunsch möglich waren grundsätzlich vier Fensterheber, aber häufig gab es nur vorne welche oder auch nur einen auf der Fahrerseite. Die Fensterheber hatten einen elektrohydraulischen Antrieb und konnten im Fall eines Defekts mit einer Spezialkurbel von innen geschlossen werden.

Die mit dem W126 einsetzende Verbreitung der gepanzerten Fahrzeuge lies diesen Schutz dann auch nicht mehr nur den vorgenannten Personen zuträglich werden, nein sie wurden nun auch zum Schutz materieller Güter eingesetzt.

Oben zu sehen die rollenden Geldschränke der Bundesbank (man beachte deren Hersteller: KraussMaffei). Das hier gezeigte Photo ist bei der EURO-Währungsreform entstanden. so gut wie jede Landespolizei hat ihre gepanzerten Fahrzeuge – hauptsächlich aus W126 bestehend – zum Schutz eben solcher Transporte oder ähnlicher Eskorten.

Die Sonderschutzfahrzeuge der Baureihe W126 stellten zwar den ersten serienmässig gebauten Panzerwagen der Welt dar, dennoch glich fast kein Fahrzeug dem andern. Es gab zig verschiedene Sonderausstattungen die die normale Preisliste nicht bot. Von der Gegensprechanlage (um bei geschlossenen Fenster dennoch mit der Aussenwelt in Kontakt treten zu können) bis zum Gefährdeten-Alarm und der Feuerlöschanlage im Motorraum war alles möglich. Gerne wurden für die Modelle der Spezialeinheiten auch Schießscharten in den Türen (eine kleine Stelle an der die Fahrzeuge nicht gepanzert waren um auch nach aussen schiessen zu können – bei geschlossenen Türen), oder aber auch nur Waffenhalter (UZI oder MP) in den Türverkleidungen geordert.

Als Antrieb dienten serienmässige, teilweise aber auch leistungsgesteigerte, Serien-V8-Motoren die mit verstärkten Automatikgetrieben und Sperrdifferentialen ihren Dienst verrichteten. Es gab auch Versionen die einen anders ausgelegten Rückwärtsgang hatten damit man auch schnell rückwärtig fahren konnte.
Ab Werk gab es eine zweite Lichtmaschine – denn mindestens ein Telefon an Bord war bei der Auswahl der Sonderwünsche Standard. Meist gab es vorne ein Telefon und ein gesondertes hinten.
Die meisten Panzerwagen wurden ab Werk mit Velours-Ausstattung geordert – es war zur Zeit des W126 einfach noch das edlere Ausstattungsmerkmal, aus Sicht der Kundschaft.

Das maximal zulässige Gewicht eines SEL-Modells betrug rund 3,2 bis 3,4 Tonnen.

Leider aber kann es gegen terroristische Gewalt nie einen 100-prozentigen Schutz geben. Traurige Berühmtheit erlangte der Anschlag auf den Deutsche Bank Vorstandssprecher Alfred Herrhausen am 30. November 1989.

Aus heutiger Sicht könnte man durchaus die Behauptung aufstellen, dass Alfred Herrhausen hätte überleben können, wenn es möglich gewesen wäre ihn umgehend mit Erste-Hilfe-Maßnahmen zu versorgen.

Die meisten Sonderschutzfahrzeuge vom Typ W126 werden auch heute noch in Regierungskreisen, Botschaften und großen Aktiengesellschaften in Deutschland bewegt. Meist zwar nur als „zweite Geige“ hinter einem der Nachfolgermodelle.
In Krisengebieten wie Afghanistan und dem Irak werden verbrauchte und alte Panzerwagen heute sehr gerne ihren letzten Fahrten zugeführt. Der Schutz ist dort weit unerlässlicher als derzeit in unseren Breiten. Dies ist aber meist nur das Schicksal der Sonderschutzfahrzeuge vom W140.

Viele Wagen werden aber auch bei Übungen eingesetzt und dort dann gezielt zerstört. In zivile Hände sollen diese Wagen nicht gelangen – deshalb werden an Mercedes zurückgegebene Fahrzeuge auch systematisch zerlegt und alle Teile zerstört.

Welch Kleinseriencharakter die Produktion zwischen 1981 und 1992 hatte, verdeutlicht dieses Foto anlässlich des 1.000. produzierten Sonderschutzwagen – einem 500SEL im Jahre 1988.

Die Produktion der Sonderschutzfahrzeuge vom Typ W/V126 wurde im April 1992 nach 1.465 Einheiten eingestellt.

Stückzahlen nach Typen:

380SE  (1981-1985)          86 Einheiten
380SEL (1981-1985)        88 Einheiten
500SE  (1981-1985)            3 Einheiten
500SEL (1981-1985)      376 Einheiten
420SE  (1985-1991)        229 Einheiten
420SEL (1985-1991)        63 Einheiten
500SE  (1987-1990)           7 Einheiten
500SEL (1985-1992)     262 Einheiten
560SEL (1986-1992)     349 Einheiten

Fotos: ©fuenfkommasechs.de & Daimler AG

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