Heute ist die Abkürzung ABS für Viele schon gar nicht mehr so geläufig, spricht man doch eher von ESP oder anderen fahrdynamischen Systemen. Das diese Neuerungen aber im Grunde allesamt auf dem bereits Anfang der 1970er Jahre präsentierten Anti-Blockier-System aufbauen, ist sicherlich nicht jedem bekannt.
Bereits in den 1960er Jahren machte man sich bei vielen Automobilherstellern Gedanken über die Verbesserung der Beherrschbarkeit des Fahrzeugs bei starken Bremsmanövern. Bekannt war damals auch schon lange, das die normalen Bremssysteme die Reifen zum Blockieren bringen konnten und sich so nicht nur der Anhalteweg deutlich verlängert, sondern auch das sich ein solcher Wagen nicht mehr sicher beherrschen lässt bzw. seine Bahn nicht mehr vom Fahrer dirigiert werden kann.
Ursprünglich kommt die Idee eines Blockier-Verhinderers der Räder aus der Luftfahrtindustrie – bei der Landung geht es einem Flugzeug ähnlich wie einem Auto, die Räder neigen zum Blockieren und bei Regen bzw. Nässe läuft das Flugzeug Gefahr auf der Landebahn instabil zu werden, mehr Erläuterung bedarf es sicherlich nicht.
Das erste Serienautomobil mit einem (mechanischen) ABS war 1966 der Jensen FF mit dem Dunlop-Maxaret-System das eben aus der angesprochenen Luftfahrt kam. Die Ford Motor Corp. rüstete ab 1969 vereinzelte Luxusfahrzeuge seiner Marke Lincoln mit einem ABS aus das auf die Hinterräder wirkte. Im Grunde aus heutiger Sicht alles nette Versuche die mal mehr, mal weniger skurril anmuten.
Gleichzeitig machte sich ein kleines Team von Entwicklern im beschaulichen Schwabenland daran ein ABS zu entwickeln, das nur Vorteile bietet und mit sich bringt, also Vorteile auf ganzer Linie, was sämtliche Ende der 1960er Jahre bekannten Systeme nicht wirklich in sich vereinten. Zunächst arbeitete das Team mit den Spezialsten des Bremsenherstellers TELDIX.
Am 12. Dezember 1970 war es schließlich soweit – nach langer Forschungsarbeit konnte man auf der Untertürkheimer Einfahrbahn der versammelten Presse ein so genanntes Anti-Bloc-System vorstellen. Testfahrzeuge waren Modelle der Baureihe W114, sowohl Typ 250 als auch 250C.
Die Fachpresse war begeistert und das kam nicht von ungefähr, die Männer von Daimler-Benz (damals arbeiteten noch keine Frauen in den Entwicklungsabteilungen) zeigten sämtliche Vorteile des neuen Bremssystems. Es wurde auf eindrucksvolle Art in parallel gefahrenen Versuchen demonstriert wie sich ein Fahrzeug mit Anti-Bloc-System und eines mit herkömmlicher Bremsanlage verhalten würde.
Dieses A-B-S war zwar ein elektronisches System, basierte aber auf analogen Schaltkreisen was es leider extrem aufwendig und auch anfällig für Störungen machte. So kam man in den Folgejahren bei Daimler-Benz schnell zu dem Entschluss, dass der ursprüngliche Plan das ABS ab 1975 in Serie anbieten zu können nicht gehalten werden könne. Darüber hinaus trennte man sich auch von seinem bisherigen Entwicklungspartner TELDIX und arbeitete fortan mit der Robert Bosch GmbH an einem ABS der zweiten Generation.
1974 beginnt die Umstellung auf Digitalelektronik: erst die Erfindung integrierter Schaltkreise erlaubt es, robuste und kleine Computer (Steuergeräte) zu bauen, die in Minimalzeit die Daten der Radsensoren beispielsweise in eine Beschleunigungsinformation umrechnen und regelkonform und zuverlässig die Ventile zur Regulierung des Bremsdrucks ansteuern. Zudem werden keine mechanischen Drehmassen-Sensoren mehr verwendet, sondern die Radbeschleunigung und -drehzahl wird rein elektronisch aus den Signalen der Drehzahlfühler (Magnetsegmentgeber) errechnet.
In einer gesonderten Pressevorstellung die vom 22. bis 25.August 1978 wieder auf der Einfahrbahn des Werks Untertürkheim stattfand, stellte man der internationalen Presse endlich das serientaugliche Anti-Blockier-System (ABS) vor. Bosch hatte sich zuvor die Namensrechte an „ABS“ sichern lassen. Dieses neue ABS der zweiten Generation wurde in Modellen der S-Klasse BR 116 vorgestellt und kurze Zeit darauf ab Werk für sämtliche Modelle vom 280S bis zum 450SEL 6.9 gegen Aufpreis angeboten. Der SA-Code 47/0 schlug damals mit 2.293,90 D-Mark zu Buche!
Möglich machte dies alles nur die enorme Forschungsleistung der Männer von Daimler-Benz und Bosch, in einem Großversuch mit mehr als 100 Erprobungsträgern wurde eine Gesamtstrecke von unglaublichen 35 Millionen Kilometern zurückgelegt und so das System zur Serientauglichkeit entwickelt. Ein Jahr lang wurde das ABS seinerzeit exklusiv von Bosch an Daimler-Benz geliefert, erst danach lockerten beide den Patentschutz um auch andere Automobilhersteller in den Genuss dieses Systems kommen zu lassen – bei lebensrettenden Systemen bestand Daimler-Benz noch nie sonderlich auf hohe Lizenzgebühren oder gar die Einhaltung einer Sperrfrist. So konnten im Jahr 1979 auch erstmals der Porsche 928 und die BMW 7er Reihe (e23) mit ABS geordert werden.
Erstmals serienmässig wurde das Anti-Blockier-System von Mercedes-Benz ab September 1985 in den modellgepflegten Modellen der S-Klasse BR 126 verbaut, sofern diese über eine V8-Motorisierung verfügten! Ende 1986 wurde ABS zur Serienausstattung einer jeden S-Klasse und gleichzeitig auch eine verbesserte und erleichterte Hydraulikeinheit verbaut, man spricht hier vom ABS der dritten Generation.
Aus heutiger Sicht ist es fast unglaublich welche Man-Power hinter diesen Systemen steckt, zumal es seinerzeit keinerlei Forschungscomputer gegeben hat und alles wirklich erreicht und versucht werden musste, d.h. in Form von praktischen Versuchen die nicht nur sehr zeitaufwendig sondern eben auch sehr teuer sind.
Weitere Fotos von einer neuerlichen Wiederholung der W116 ABS-Vorstellung von vor ein paar Wochen findet Ihr hier: KLICK
Eine Pionierleistung der S-Klasse von Mercedes-Benz!
Fotos: ©fuenfkommasechs.de & Daimler AG